In manchen Momenten steht das Leben still. Auf einmal bin ich wieder in schmerzhaften Gefühlen meiner Vergangenheit. Und ich lerne viel über die Kraft der Vergebung.
Vor einiger Zeit tauchte eine Nachricht auf meinem Bildschirm auf – von einem Menschen, der eine sehr wichtige Rolle in meinem Leben spielte. Ein Mann, den ich liebte und der mich aus heiterem Himmel verlassen hatte. Dabei planten wir doch gerade eine große Rucksackreise für ein Jahr – gemeinsam. Ohne Abschied, ohne wirkliche Erklärung war er weg. Und hinterließ mir nur einen gelben Post-it auf dem Wohnzimmertisch. 16 Jahre sind seitdem vergangen.
In diesem sehr persönlichen Blogartikel geht es um die „Geister der Vergangenheit“ und was wir lernen können: über echte Vergebungsarbeit, das Heilen unseres Herzens und sich selbst verzeihen.
Geister der Vergangenheit
Manchmal denken wir, eine Geschichte sei längst erzählt, vergeben und das Kapitel ist abgeschlossen. Doch dann öffnet sich plötzlich eine alte Tür – unerwartet und heftig. Und wir sind wieder mittendrin in den unangenehmen Emotionen und Gefühlen der Vergangenheit.
Meine Welt damals in 2009: in Aufruhr. Mein Freund und ich hatten ein Backpacking-Jahr in Australien geplant, ein gemeinsames Abenteuer, ein großer Lebenstraum.
Zerstörte Träume
Der Tag rückt näher, die Aufregung wächst und ich kann es kaum erwarten. Als ich eine Nachricht – bestimmt für eine andere Frau – entdecke, bekomme ich die erste Panikattacke meines Lebens.
Nachdem sich meine Atmung etwas beruhigt, rufe ich meinen Freund an, spreche ihn mit einem ungutem Gefühl in mir direkt und ohne Umwege darauf an. Ich höre nur irgendein Gestammel und verstehe nichts. Mein Herz klopft wie wild vor Angst und um mich herum verschwimmt alles. Am nächsten Tag ist unsere Wohnung halb leergeräumt, ich bin im Schock. Zurück bleibt nur ein gelber Post-it auf dem nussbraunen Wohnzimmertisch mit den Worten: „Es tut mir leid.“. Kein echtes Gespräch, keine sinnvolle Erklärung. Einfach weg.
Da stehe ich nun, ratlos, verlassen, mitten in den Trümmern unseres vermeintlich gemeinsamen Lebenstraums. Mit gebrochenen Herzen treffe ich eine Entscheidung, die mir alles abverlangt: Fliege ich allein nach Australien – mit all meinem Schmerz, meiner Wut, meiner Verzweiflung oder lasse ich diesen Traum fallen?
Letzteres empfinde ich als „Verrat an mir selbst.“ Ich fliege – aber lasse einen Teil von mir zurück. Was ich damals noch nicht wusste: Das Jahr meines Lebens beginnt und die größte Reise zu mir selbst startet.
Vergebung – Heilung – emotionale Entgiftung

Sechzehn Jahre später, als ich seine LinkedIn-Kontaktanfrage auf meinem Bildschirm sehe, beginnt mein Herz wieder zu pochen. In einer langen Nachricht bekomme ich eine aufrichtige Entschuldigung – eine, die mich tatsächlich sehr berührt und in das Jahr 2009 zurück katapultiert. Ich spüre, dass seine Worte echt sind und er sich mit dem, was damals passiert war, wirklich auseinandergesetzt hat. Er schreibt mir, was er damals fühlte, was in ihm vorging, was er verdrängte und warum er so handelte. Auf eine Weise ist es heilsam und ich verstehe ein wenig mehr.
Ein Satz bleibt mir besonders im Gedächtnis: „Ich wusste immer, dass du zu etwas Großem bestimmt bist.“

Da war sie: Meine weibliche Wut. Ein Echo des alten Schmerzes, denn damals hatte er nicht daran geglaubt, dass er selbst groß genug sein könnte, um mit mir nach Australien zu gehen. Von all dem wusste ich nichts.
Und dieses Muster mit Männern – ich war zu viel, zu klar, zu kraftvoll – wiederholte sich in meinem Leben erneut – 8 Jahre später. Das, was viele Jahre danach mit einem anderen Mann in noch viel heftigerer Form passierte, kam auf einmal mit gewaltiger Wucht an die Oberfläche und ließ mich nochmal diesen Schmerz und die Ohnmacht fühlen. Ich ließ es geschehen und fühlte.
Wieder zeigte mir das Leben: Heilung ist kein einmaliger Akt. Sie passiert in Schichten.
Wir glauben oft, wir hätten etwas „hinter uns gelassen“, verziehen. Trotzdem reicht ein kleiner Moment, eine Nachricht, ein Name – und wir spüren, dass da noch etwas in unserem System unverarbeitet ist. Es ist keine offene Wunde mehr, aber immer noch eine Narbe, die leicht schmerzt, wenn man sie berührt. Etwas, was in der Tiefe noch einmal gefühlt und losgelassen werden will.
Menschen reflektieren ihre Taten, sie verändern sich. Manchmal später, als wir es uns gewünscht hätten. Doch sie tun es – genau dann, wenn sie bereit dazu sind. Und das dürfen wir wertschätzen und wir dürfen uns selbst erlauben, zu heilen – durch Vergebung und Verzeihen. Völlig unabhängig davon, ob sich Menschen später bei uns entschuldigen oder auch nicht.
Alte Wunden zeigen sich
Vielleicht kennst du sie auch, „Die Geister der Vergangenheit“ nenne ich sie liebevoll: Ein Erlebnis von früher taucht unerwartet wieder auf. Ein Bild, ein Lied, ein Mensch, ein Geruch… und du wirst erinnert. Es triggert Emotionen, die du nicht mehr für möglich gehalten hast. Und dass nicht, weil du „noch nicht fertig“ bist mit der Vergangenheit, sondern weil das Leben dir die Chance gibt, tiefer zu gehen.
Heilung ist kein linearer Prozess, sie geschieht in Schichten, denn emotionaler Schmerz hat viele Dimensionen. Es gibt keine gerade Linie von „Ich habe es losgelassen“ zu „Ich spüre nichts mehr dabei“, so arbeitet unser System nicht, es ist durchaus komplexer. Und das ist auch vollkommen okay, denn wir sind schließlich fühlende Wesen.
Was ich in diesem Moment fühlte? Sehr viel: Überraschung, Dankbarkeit, Verwirrung, Anerkennung, Wut, innere Verletzung und alten Schmerz – doch dann kam eine sanfte Erkenntnis:

Was, wenn diese besondere Begegnung genau zur richtigen Zeit passiert? Wenn es nicht nur darum geht, „endlich abzuschließen“ oder ihm auch meine Wahrheit von damals mitzuteilen, sondern die nächste Schicht dieser alten Geschichte liebevoll zu integrieren?
Was, wenn noch etwas in der Tiefe geheilt werden darf – für beide von uns?
Ho’oponopono – Vergebung als Schlüssel
Ich merkte, wie aufgewühlt ich innerlich war und dass auch nicht gelebte Wut hochkam. Schnell aber wurde ich milde mit mir und stieg nochmal ganz tief in das Thema Vergebung ein. Ich tat es und gab mir liebevoll diesen Raum. Wie das manchmal so ist: Das Leben stellt uns immer wieder die gleichen Aufgaben, bis wir sie gelöst haben. Meine Aufgabe war es, mit alten Mustern endgültig zu brechen und Gefühle – alle – zu fühlen, damit ich frei sein konnte. Ich hatte zu viel Lebensenergie in meinem emotionalen Labyrinth verloren, es wurde Zeit, mir diese Energie wieder zurückzuholen!

Ich erinnerte mich an Ho’oponopono, ein hawaiianisches Vergebungsritual. Es ist simpel und doch so kraftvoll in seiner Essenz. Es besteht aus 4 einfachen Sätzen:
Es tut mir leid.
Bitte verzeih mir.
Ich liebe dich.
Danke.
Das ist kein Ritual, was wir nur an andere richten – es ist genauso eine tiefe Selbstheilung. Oft ist es nicht nur der andere, den wir freilassen müssen. Es ist auch unser eigener Schmerz, unser eigenes altes Ich, dass an der Geschichte festhält und nicht loslassen kann.

Ich habe mich gefragt: Wem gilt meine Vergebung wirklich? Ihm, für das, was er damals tat? Oder mir selbst, für die alten Zweifel, das lange Grübeln über das „Warum“?
Vergebung ist ein Akt der Selbstermächtigung und Selbstliebe. Vergebung bedeutet nicht, das, was passiert ist, war in Ordnung – sondern dass wir uns aktiv entscheiden, nicht länger an der Vergangenheit festzuhalten. Vergebung schenkt uns emotionale Freiheit und öffnet neue Möglichkeiten. Es ist eine freiwillige Entscheidung. Deine Entscheidung!
Loslassen und Verzeihen – Ein lebenslanger Prozess
Ich habe in meinem Leben gelernt: Loslassen ist kein einmaliges Ereignis, sondern ein Weg, den wir immer wieder gehen dürfen.
Es gibt Momente, in denen wir glauben, mit einer Situation im Reinen zu sein. Und dann – Jahre später – kommt eine Begegnung, ein Wort, eine Erinnerung – und wir spüren, dass da noch etwas ist. Das ist aber kein Rückschritt, sondern ein Zeichen und eine Einladung in deine innere Welt.
Eine Einladung
- tiefer zu fühlen.
- milder mit uns selbst zu sein.
- eine neue Perspektive auf die Vergangenheit einzunehmen.

Vergebung und Heilung sind nichts, was wir einmal tun und dann abhaken. Sie sind wie der Ozean – immer in Bewegung, immer in Veränderung. Manchmal sanft, manchmal stürmisch, aber immer mit der Kraft, alles zu transformieren.
Meine Learnings über Vergebung
Heute weiß ich: Es ging nicht mehr um ihn oder die Situation damals. Seine aufrichtige Entschuldigung war ein riesengroßes Geschenk für mich und ich weiß, auch für ihn selbst. Nicht, weil ich sie „brauchte“, um Frieden zu schließen – sondern weil sie mir einen Spiegel vorhielt und offenbarte, wie Heilung in der Tiefe wirklich funktioniert. Und ich mir selbst die Erlaubnis gab zu heilen – auf meine ganz eigene Weise.
Der Weg zur inneren Freiheit
Ich konnte loslassen, weil ich mit meinem heutigen Blick auf das Leben viel mehr weiß, ein tieferes Bewusstsein entwickelt habe und psychologisch nachvollziehen kann, was da passiert ist. Ich sah mein damaliges Ich, tränenüberströmt und mit gebrochenem Herzen im Flieger nach Australien, aber trotzdem mit dem Mut ins Ungewisse zu fliegen. Pure Selbstwirksamkeit.
Wahrer innerer Frieden kommt nicht von anderen. Er kommt immer nur von uns selbst. So habe ich mir damals selbst das größte Geschenk gemacht, denn ich bin für mich und meinen Traum losgegangen. Und das erfüllte mich heute – 16 Jahre später – mit Stolz und purer Dankbarkeit. Damals in Australien begann meine Reise der Persönlichkeitsentwicklung. Sie war meine Eintrittskarte in ein neues Leben voller Tiefe und Echtheit.
Vergebung ist auch ein Neustart
Heilung bedeutet nicht zu vergessen. Es bedeutet, sich zu erinnern, ohne an der Vergangenheit und Verletzungen von damals festzuhalten. Mit einer anderen, neuen Perspektive: Dem Blick der Liebe.

Es bedeutet auch, dass wir dem Leben zutrauen, dass alles genau so passiert, wie es für uns passieren soll. Ich selbst musste nie darauf warten, dass jemand anderes mir Frieden bringt. Ich hatte ihn die ganze Zeit schon in mir! Und ich bin mir sicher, er ist auch schon in dir.
Hast auch du schon einmal erlebt, wie eine alte Geschichte plötzlich an die Oberfläche kommt und dich vollkommen überwältigt? Wie bist du damit umgegangen? Ich freue mich, wenn auch ihr eure Gedanken mit mir teilt.
